Gut zu wissen

MEHR SICHERHEIT FÜR MÜTTER UND KINDER KURZANALYSE VON GEBURTSSCHÄDEN

Vera Triphaus arbeitet als Risikoberaterin für die GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung. Gemeinsam mit geburtshilflichen Teams analysiert sie kritische Ereignisse im Kreißsaal, um die Risiken zu vermindern.

Im Interview berichtet die Expertin, die auf ihre Ausbildung und jahrzehntelange Erfahrung als Hebamme sowie auf das Wissen aus dem Studium der Gesundheitswirtschaft zurückgreift, über komplexe Ursachenbündel hinter riskanten Situationen und erklärt, wann eine Beraterin zum Störenfried werden muss.


Unsere Unternehmensgruppe bietet den Kunden auf Wunsch auch eine Kurzanalyse von Geburtsschäden an. Wo liegt der besondere Nutzen dieses Angebots?

Vera Triphaus: An dieser Stelle agieren wir als GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung als Dienstleister der Versicherungsmakler in der Ecclesia Gruppe. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht dabei, anhand eines konkreten geburtshilflichen Schadenfalls oder eines kritischen geburtshilflichen Ereignisses bei einem Kunden die möglichen Ursachen und begünstigenden Faktoren herauszuarbeiten und so dazu beizutragen, die Risiken des Kunden insgesamt zu vermindern. Diese Erstbetrachtung gibt uns die Möglichkeit, Empfehlungen abzugeben, an welchen Stellen Themen tiefer analysiert, Prozesse überdacht oder Organisationsformen verändert werden müssten.
 

Lassen sich aus Ihren Erfahrungen und den Auswertungen der GRB bestimmte Risiko-Situationen ableiten, die immer wieder vorkommen?

Vera Triphaus: Es gibt in der Geburtshilfe nie ein einfaches Ursache-Wirkung-Prinzip. Es sind immer mehrere Faktoren, die zusammenspielen und dann letztlich zu einer Risikosituation oder gar einem Schaden führen: Zum Beispiel, wenn ein CTG nicht richtig interpretiert wird, weil einige Vorbefunde nicht bekannt sind, oder wenn klinische Untersuchungen nicht oder falsch bewertet werden, weil die werdende Mutter möglicherweise nicht verstanden hat, was die Ärztin, der Arzt oder die Hebamme erfragen wollten. Bei der GRB streben wir daher an, die Patientensicherheit durch die Analyse von Schadenfällen zu erhöhen. Langfristig sind wir zudem bestrebt, den Ursachenmechanismus für die Entstehung solcher Schadenfälle besser zu verstehen und den Kunden als Information zur Verfügung zu stellen. Denn die schweren Schäden sind glücklicherweise selten, aber sie sind geprägt von hohen Schadensummen und wirken damit ihrerseits auch stark auf die jeweilige Schadenbilanz eines Krankenhauses ein.
 

Das heißt, Sie verbinden also Grundlagenarbeit und Analyse der Schadenfälle?

Vera Triphaus: In gewisser Weise ja. Für den Kunden analysieren wir, welche Instrumente und Stellschrauben angewendet werden könnten, um die Patientensicherheit weiter zu erhöhen – zum Beispiel über best-practice-Ansätze. Gleichzeitig erweitern wir so den Informationsbestand, um auf einer soliden Grundlage Aussagen darüber treffen zu können, wie oft risikobegünstigende Situationen entstehen und wie sie zustande kommen. Das erhöht im Endeffekt wiederum den Nutzen für alle Kunden.
 

Welche Methoden lassen sich dafür einsetzen?

Vera Triphaus: Wir verwenden das London-Protokoll als Instrument. Es ist im Risikomanagement anerkannt als Analysewerkzeug bei Großschäden. Damit werden multikausale Zusammenhänge in einer Chronologie aufgestellt und Faktorengruppen wie zum Beispiel Kommunikation, Sachkenntnis, Zusammenarbeit im Team oder der Patientinnensphäre zugeteilt. Dadurch lässt sich das Geschehen sortieren und so darstellen, dass eine Analyse möglich wird.
 

Nun haben Sie selbst nicht nur den analytischen Blick der Risikoberaterin, sondern auch eine jahrzehntelange Erfahrung als Hebamme. Wo schauen Sie bei einer Analyse aus Ihrer Erfahrung zuerst hin, wo liegen neuralgische Punkte?

Vera Triphaus: Oftmals liegen die
Probleme in der interdisziplinären Zusammenarbeit, und damit meine ich nicht nur den althergebrachten und oft beschworenen Gegensatz zwischen Gynäkologinnen und Gynäkologen auf der einen und Hebammen auf der anderen Seite. Es geht dabei auch um Dinge wie die nicht rechtzeitige Einbindung der Anästhesie, zum Beispiel weil eine Anästhesistin oder ein Anästhesist gar nicht im Haus ist. Hier können klare Absprachen, die schriftlich festgehalten worden sind, helfen. Allerdings müssen sie auch regelmäßig aktualisiert werden.

Ausbaufähig ist auch das regelmäßige Training von Notfallsituationen. Echte Notfallsituationen kommen eben selten vor, aber genau deshalb müssen sie theoretisch und interdisziplinär durchgespielt werden, damit sie im Ernstfall beherrscht werden und schwere Schäden abgewendet werden können. Dabei besteht keine Notwendigkeit, jede Woche den schweren Notfall zu simulieren. Es hilft auch, gemeinsam ein kritisches CTG anzusehen und sich – ohne Schuldzuweisung – zu fragen, was das Kind quasi damit sagen wollte.
 

Welche Stellschrauben stehen zur Verfügung, um Risikosituationen positiv zu beeinflussen?

Vera Triphaus: Die Analyse bildet immer die Grundlage für eine möglicherweise folgende weitere Beratung – zum Beispiel zu den Fragen, welcher Prozess anders aufgestellt, welche Organisationsform überdacht werden muss. Wenn das auf Akzeptanz und die Bereitschaft zur Selbstreflexion trifft, ergeben sich viele kreative Möglichkeiten, um Lücken zu schließen.
 

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Vera Triphaus: Ein Beispiel ist die postnatale Überwachung der Mutter. Nach der Geburt gibt es ein hohes Risiko des „innerlichen Verblutens“. Nach außen dringt dabei kaum Blut, aber es sammelt sich in der Gebärmutter. Das lässt sich nur erkennen, wenn direkt nach der Geburt eine regelmäßige Funduskontrolle erfolgt. Häufig steht dafür nicht ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung. In einer Dortmunder Klinik hat man das Problem so gelöst, dass im Aufwachraum regelmäßig ein Gynäkologe die Funduskontrolle durchführt, der ohnehin OP-Dienst hat und quasi zwischendurch die Kontrolle vornimmt.
 

Eine einfache Lösung.

Vera Triphaus: Wenn das Problem erkannt ist, finden sich oft relativ einfache Lösungen, wie hier zum Beispiel eine enge Kooperation zwischen den Berufsgruppen. Aber es gibt leider auch Beispiele für Teams, in denen die Bereitschaft zur Selbstreflexion nicht vorhanden ist und insofern Selbst- und Fremdwahrnehmung des Handelns im Sinne der Patientensicherheit erheblich auseinanderfallen. Hier muss zunächst an der Sicherheitskultur gearbeitet werden. Da müssen Sie als Berater oder Beraterin quasi erst einmal zum „Störenfried“ für das System werden, damit es geschüttelt wird und sich neu formiert, um eine lernende Organisation zu werden.
 

Wie stört man ein so gefestigtes System auf?

Vera Triphaus: Nach Interviews und Befragungen geht es letztlich darum, provokative, hypothetische oder auch lösungsorientierte Fragen an das Gesamtteam zu stellen und so einen Perspektivwechsel herbeizuführen – weg von der eigenen Sicht auf die Dinge hin zur Perspektive derjenigen, die das Handeln im Kreißsaal erleben, also der Frau unter der Geburt oder ihres Partners. Allerdings lässt sich im Vorfeld nicht festlegen, wie der Prozess ausgehen wird. Auch hier gilt: Ein einfaches Ursache-Wirkung-Prinzip gibt es nicht. Oft besteht die zu erreichende Lösung darin, dass eine Bereitschaft geweckt wird, überhaupt ins Nachdenken zu kommen und sich daraus eine eigenständige Dynamik im Sinne der Patientensicherheit entwickelt.
 

Inwieweit lassen sich auch ökonomische Effekte erzielen?

Vera Triphaus: Wenn sich die Patientensicherheit in einer Klinik insgesamt erhöht und entsprechend die Schadenanzahl – vor allem auch die Menge schwerer Schäden – stabil bleibt oder sogar sinkt, kann das positiven Einfluss auf die Versicherungsprämien haben. Die Versicherer honorieren die Anstrengungen um die Patientensicherheit als Ziel eines Krankenhauses durchaus durch eine qualitative Verbesserung der Versicherungsbedingungen oder eine konstante Prämie. Außerdem lassen sich durch eine Verbesserung des eigenen klinischen Risikomanagements auch neue, kreative Lösungen finden, wie die Arbeit im Krankenhaus sicherer und besser organisiert werden kann. Hier bieten sich ebenfalls ökonomische Potenziale. Es ist aber nicht anzunehmen, dass man Schäden in der Geburtshilfe dadurch grundsätzlich verhindern kann. Denn wie schon eingangs gesagt, die gesamte Situation, in der ein Schaden entsteht, ist sehr komplex.

Die Fragen stellte Thorsten Engelhardt, Pressesprecher unserer Unternehmensgruppe.